Wasserfall-Methode oder agile ERP-Einführung?
Die Einführung einer ERP-Software beansprucht in der Regel viele Ressourcen und der Zeitaufwand ist oft enorm, das ist nichts Neues. Dies ist aber auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, wie stark das System mit den eigenen Prozessen verwebt ist. Das Projekt im Voraus gut zu organisieren erleichtert allen Beteiligten die Arbeit und hilft dabei, nachträgliche und kostspielige Anpassungen zu vermeiden. Dazu gehört auch, sich für eine Vorgehensweise zu entscheiden, mittels welcher die neue Software integriert werden soll. Noch bevor das eigentliche Projekt also beginnt, müssen sich Kunde und ERP-Anbieter die Frage stellen, welche Vorgehensweise die Einführung am schnellsten und effizientesten realisieren kann. Es gibt zwei sehr gegensätzliche Modelle, die sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen – die Wasserfall-Methode und die agile Vorgehensweise.
Gemäß dem Motto „Alte Besen kehren gut“ setzen die meisten Unternehmen auf die klassische und altbewährte Wasserfall-Methode. Zwar interessieren sich auch immer mehr Kunden für agile Entwicklungsmethoden, aber nur wenige trauen sich auch zu, das neue ERP-System nach diesem Konzept einzuführen. Viele Verantwortliche sind nach wie vor skeptisch und nicht bereit, einen Teil ihrer Kontrolle abzugeben. Nun ergeben sich vielleicht einige Fragen: Was genau ist der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen? Welcher ist besser für die Anforderungen meines Unternehmens geeignet? Dieser Beitrag soll Ihnen eine Übersicht über die beiden Methoden sowie deren Vor- und Nachteile geben und Ihnen somit die Entscheidung hoffentlich etwas erleichtern.
Der klassische Ansatz – Die Wasserfall-Methode
Für gewöhnlich läuft eine ERP-Einführung nach der klassischen Wasserfall-Methode ab. Gerade im Software-Bereich war diese lange Zeit Standard. Die erste formale Beschreibung dieses Modells wird Winston W. Royce zugeschrieben. In seinem 1970 erschienenen Artikel „Managing the Development of large Software Systems“ verwendet er zwar nicht den Begriff „Wasserfall“, machte aber schon damals deutlich, dass diese Methode ausbaufähig und nicht für jedes Projekt geeignet sei. Die Wasserfall-Methode zeichnet sich durch einen streng linearen Projektverlauf aus. Zu Beginn wird der Verlauf festgelegt, indem das Projekt in mehrere Phasen eingeteilt wird. Diese werden dann nacheinander und in einer vorher definierten Reihenfolge konsequent abgearbeitet. Nach Beendigung einer Phase prüfen Kunde und Anbieter die Ergebnisse und geben diese anschließend frei. Jede abgeschlossene Phase leitet eine neue ein und gilt als unveränderlich, spätere Modifikationen sind in der Regel nicht vorgesehen. Entscheidungen können und sollen nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Es gibt mittlerweile verschiedene Varianten, aber das Grundmodell besteht aus folgenden sechs Schritten:
- Anforderungsanalyse – Festlegung der vorhergesehenen Funktionen
- Konzeption – Entwicklung der Softwarearchitektur
- Implementierung – Entwickeln und integrieren der Software
- Integrationstests – Fehler suchen und beseitigen
- Rollout – Inbetriebnahme des Systems
- Support – Sicherstellen, dass der Kunde keine Probleme mit dem Produkt hat
Im einem Lastenheft werden dafür die unternehmerischen Ziele und Anforderungen des Kunden an das ERP-System festgehalten und im Pflichtenheft wird definiert, wie diese umgesetzt werden. Die konkrete Ausführung ist von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich.
Stärken der Wasserfall-Methode
Die Wasserfall-Methode ist nach wie vor sehr beliebt. Nicht ohne Grund, denn sie bietet vor allem klare und geordnete Strukturen, was für einige Unternehmer einen hohen Stellenwert hat. Die Einführung einer ERP-Software ist vor allem eine große Veränderung, Planung und Struktur geben in dieser Zeit etwas mehr Sicherheit und sind daher gerne gesehen. Spätestens nach der Vorbereitungsphase ist allen Projektbeteiligten klar, welche Schritte bis zum Echtstart im Detail erfolgen, an welchem Punkt der Umsetzung man sich aktuell befindet und was noch vor einem liegt. Das planen und kalkulieren von Budget und Zeitaufwand, gerade bei sehr umfangreichen Projekten, ist so natürlich sehr präzise möglich.
Schwächen der Wasserfall-Methode
Die Wasserfall-Methode birgt aber auch einige Risiken, die gerade bei kniffligen und unübersichtlichen ERP-Einführungen nicht zu unterschätzen sind. Das streng lineare Vorgehen führt ironischerweise oft zu Kontrollverlust. Der Konzeptionsaufwand bei dieser Methode ist in der Regel sehr hoch, da einzelne Schritte sehr detailliert geplant werden müssen. Da die einzelnen Phasen streng voneinander getrennt sind, ist man sehr stark an die vorgegebenen Abläufe gebunden. Das macht es recht starr und unflexibel, paralleles Arbeiten ist so kaum bis gar nicht möglich.
Die größte Schwäche hierbei ist, dass Mängel oder Fehlannahmen, die zu Beginn in der Konzeptionsphase entstanden sind, sich erst gehäuft am Ende der Implementierung offenbaren, oder noch ungünstiger – während der Funktionstests. Möglich ist auch, dass ein Anwendungsfall während der Konzeption ganz vergessen wird. Dieser wird dann natürlich vom ERP-System auch nicht berücksichtigt. In beiden Situationen entsteht ein ungeplanter und vor allem kostenintensiver Mehraufwand. Auf der anderen Seite kann es aber auch passieren, dass der Anbieter durch fehlende Kommunikation unnötige Features implementiert, die in der Praxis letztendlich nie zum Einsatz kommen. Generell ist die eingeschränkte Kommunikation bei dieser Methode oft ein Grund für Missverständnisse, da Kunde und ERP-Anbieter verschiedene Interpretationen des Konzepts haben. Das Ergebnis: Der Kunde ist unzufrieden, da das System nicht seinen Erwartungen entspricht. Dies ist natürlich eine Situation die unbedingt vermieden werden sollte.
Agile Entwicklungsmethoden
Als Antwort auf die Schwächen der Wasserfall-Methode wurden agile Vorgehensweisen entwickelt. Eine der ersten Varianten dieser Methode war Scrum. Scrum ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Softwaretechnik. Der Ursprung dieser Vorgehensweise geht auf den Artikel „The New New Product Development Game“ der Harvard Business Review aus dem Jahr 1986 zurück. Takeuchi und Nonaka betonen darin unter anderem, wie wichtig selbstorganisierte Teams im gesamten Entwicklungsprozess sind. Diesen noch recht jungen Ansatz macht sich heute primär die Softwareentwicklung zu nutze, findet aber auch in vielen anderen Bereichen Einsatz.
Gemäß der Methode werden Aufgaben nicht anhand eines linearen Plans, sondern in kurzen Implementierungszyklen umgesetzt, den sogenannten Sprints. Zu Beginn jeden Sprints werden Ziele festgelegt. Im weiteren Verlauf setzt das Projektteam in jedem Zyklus ein Arbeitspaket, meist eine funktionale Anforderung, vollständig um. Diese wird im Anschluss getestet, sodass am Ende eines jeden Zyklus ein lauffähiges, präsentables Teilsystem entsteht. Der Kunde hat so die Möglichkeit, jederzeit Feedback zu geben. Ein Zyklus dauert optimalerweise zwischen zwei und vier Wochen. Mit jedem weiteren Zyklus versuchen Projektteam und Anwender die Anforderungen zu verbessern und sich schrittweise einer optimalen Lösung zu nähern. Diese Vorgehensweise ermöglicht viel Platz für Interaktionen, Anpassungen und Aktualisierungen. Dies ist insbesondere dann hilfreich, wenn der Kunde im Verlauf der Einführung seine Anforderungen an die Software ändert oder sich andere Herausforderungen entwickeln.
Die agile Vorgehensweise sieht folgendermaßen aus:
- Sprint 1 (Konzeption, Umsetzung, Testing, Dokumentation, Evaluation)
- Sprint 2 (Konzeption, Umsetzung, Testing, Dokumentation, Evaluation)
- Sprint 3 (Konzeption, Umsetzung, Testing, Dokumentation, Evaluation)
- Sprint 2 (Konzeption, Umsetzung, Testing, Dokumentation, Evaluation)
Einzelne Schritte gehen fließend ineinander über und finden teilweise parallel statt.
Stärken der agilen Vorgehensweise
Ein wesentlicher Vorteil der agilen Vorgehensweise ist, dass sie besonders flexibel und praxisorientiert in der Umsetzung ist – Kommunikation und Kundenzufriedenheit stehen hier deutlich im Mittelpunkt. Projektteam und Kunde bzw. die künftigen Anwender des Systems arbeiten von Anfang an eng zusammen. Die Anwender werden in jeden Zyklus mit einbezogen und sehen einzelne Bereiche des Systems früh in Aktion, da wie bereits erwähnt, nach jedem Zyklus ein lauffähiges Teilsystem entsteht. So kann die Software bereits während der Implementierungsphase auf Herz und Nieren getestet werden.
Fehler in der Konzeption kommen schnell ans Tageslicht und der Kunde sieht außerdem schnell, ob die Software seinen tatsächlichen Vorstellungen und Anforderungen entspricht oder nicht. Auch Missverständnisse können so viel leichter vermieden werden. Das Projektteam kann Rückmeldungen des Kunden direkt umsetzen und die neuen Erkenntnisse nutzen um das Vorgehen, wenn nötig, neu anzupassen. Die agile Vorgehensweise verhindert vor allem, dass das Projekt in einem teuren Anpassungsmarathon endet. Außerdem steigt die Anwenderakzeptanz, da die Mitarbeiter durch die konstante Beteiligung das Projekt beeinflussen und sich so stärker mit dem System identifizieren können.
Schwächen der agilen Vorgehensweise
Auch wenn diese Methode mehr Vor- als Nachteile hat, ist sie trotzdem nicht für jedes Unternehmen geeignet. Um eine ERP-Einführung agil umzusetzen, muss die Geschäftsleitung einen Teil der Kontrolle aufgeben, da sich die agile Vorgehensweise nicht an festen Projekt- und Zeitplänen orientiert. Außerdem geht immer etwas Planungssicherheit verloren, da man im Vorfeld nie ganz genau sagen kann, wann welche Funktion fertig und einsatzbereit ist, sowie welches Ergebnis zu erwarten ist.
Agil oder Wasserfall-Methode – Was sind die wesentlichen Unterschiede?
Beide Ansätze haben das gleiche Ziel, verfolgen aber verschiedene Vorgehensweisen. Das sind die wesentlichen Unterschiede:
Wasserfall-Methode
- Klassischer Ansatz, war im ERP-Bereich lange Zeit Standard
- Lineare Vorgehensweise
- Das Projekt wird in einzelne Phasen unterteilt, welche nacheinander abgearbeitet werden
- Projektergebnisse werden am Ende präsentiert
- Der Ablauf sowie Konzept des Projekts werden zu Beginn festgelegt und in der Regel nicht mehr modifiziert
- Einmal abgeschlossene Phasen werden nicht mehr verändert
- Das Leistungsspektrum ist bekannt, der Umfang klar definiert
- Der Kunde hat klare Anforderungen welche sich, wenn überhaupt, nur geringfügig ändern
- Das Projekt hat eine eher kurze Laufzeit
- Der Kunde möchte im Prozess nur wenig integriert sein
- Vorteile
- Hohe Planungssicherheit
- Budget, aktueller Status sowie nachfolgende Schritte bis zum Echtstart sind zu jeder Zeit bekannt
- Geplanter Zeitrahmen kann durch klare und geordnete Strukturen eher eingehalten werden
- Hohe Planungssicherheit
- Nachteile
- Relativ starr und unflexibel gegenüber Änderungen
- Oft kostspielige Anpassungen notwendig, da sich Fehler aus der Konzeptionsphase erst am Ende zeigen
- Hoher Konzeptionsaufwand
- Einzelne Schritte müssen sehr detailliert geplant werden
Agile Vorgehensweise
- Alternative zur Wasserfall-Methode
- Lineare Abläufe werden durch Zyklen (sogenannte Sprints) ersetzt
- In jedem Zyklus wird ein Arbeitspaket, meist eine funktionale Anforderung, vollständig umgesetzt und getestet, sodass ein lauffähiges Teilsystem entsteht
- Der Projektablauf ist flexibel
- Planung und Konzept sind nicht starr, sondern werden im Laufe des Projekts weiterentwickelt
- Teilergebnisse werden basierend auf dem Feedback der Anwender angepasst
- Das Leistungsspektrum ist eher unbekannt, der Umfang variabel
- Das Projekt hat eine eher lange Laufzeit
- Anforderungen sind unklar und viele Anpassungen zu erwarten
- Kunde wünscht starke Mitwirkung im Prozess
- Vorteile
- Flexibel und sehr praxisorientiert
- Kommunikation und Kundenzufriedenheit stehen bei dieser Methode im Mittelpunkt
- Gemeinsamer Lernprozess
- Enge Zusammenarbeit zwischen Kunde und ERP-Anbieter
- Weniger Verzögerungen und Nachbesserungen
- Konzeptionsfehler fallen schneller auf, da nach jedem Zyklus Tests erfolgen
- Anwenderakzeptanz steigt, da sich die Mitarbeiter konstant am Projekt beteiligen und die Abläufe beeinflussen können
- Nachteile
- Verantwortliche müssen einen Teil der Kontrolle abgeben
- Planungssicherheit geht etwas verloren, da nie ganz klar ist, wann welche Funktion fertig ist
Welche Methodik ist für meine Anforderungen die beste Wahl?
Welche Methode für Sie und Ihr Unternehmen am besten geeignet ist, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich nicht per se beantworten. Es gibt leider keine Universallösung, die für alle Unternehmen gleich gut funktioniert. Die Wasserfall-Methode kommt häufiger in Unternehmen mit hierarchischen Strukturen zum Einsatz, wo Planungssicherheit, Kontrolle und geordnete Strukturen Priorität haben. Kunden, die die Abläufe und Prozesse im Unternehmen gerne im Überblick haben, entscheiden sich eher für diese Methode. Oft sind dies auch Projekte mit konstanten Anforderungen. Projekte mit vielen unvorhersehbaren Faktoren, die flexible Anpassungen benötigen, sind für diese Methode eher ungeeignet.
Folgende Fragen können Ihnen dabei helfen zu entscheiden, welcher Ansatz für Sie der richtige ist:
- Sind die Ziele bereits im Vorfeld eindeutig definierbar?
- Hat der Kunde genaue Vorstellungen?
- Benötigt das Projektteam eine klare Führungsstruktur?
- Gibt es eine Deadline oder klar definierte Meilensteine?
- Ist das Budget fest definiert?
- Ist von keinen größeren Änderungen im Projektverlauf auszugehen?
Wenn Sie die Mehrheit der Fragen mit „Ja“ beantworten, ist die Wasserfall-Methode für Sie vermutlich eher geeignet. Agile Entwicklungsmethoden hingegen können ein Ansatz sein, wenn der Kunde noch keine genaue Vorstellung davon hat, was er genau möchte. Diese Methode ist vor allem für Unternehmen interessant, bei denen davon auszugehen ist, dass das Projekt eine längere Laufzeit hat und sich Rahmenbedingungen, Wünsche oder Prioritäten im Laufe der Zeit eher ändern. Häufig entscheiden sich Unternehmen auch für eine Kombination beider Modelle. Diese hybriden Ansätze kombinieren Elemente beider Vorgehensweisen. Dabei ist es beispielsweise denkbar, einen langfristigen Plan aufzustellen der sich an der Wasserfall-Methode orientiert, die einzelnen Phasen aber nicht strikt voneinander zu trennen – eine Mischung aus Planungssicherheit und Flexibilität.
Es lohnt sich in jedem Fall, sich mit beiden Methoden näher zu befassen, da beide ihre Vor- und Nachteile haben. Nehmen Sie sich am besten etwas Zeit zum recherchieren und finden Sie zusammen mit Ihrem ERP-Anbieter heraus, welches Modell am besten zu Ihren Anforderungen passt.
Wenn Sie mehr über die Wasserfall-Methode, agile Vorgehensweisen für Ihre ERP-Einführung oder die gesamte Funktionspalette von TimeLine ERP erfahren möchten, senden Sie uns gerne eine Nachricht über das Kontaktformular, schreiben an info@timeline.de oder kontaktieren unser Sales-Team unter +49 212 230 35 200. Wir freuen uns auf Sie und beraten Sie gerne!